Die Deutsche Shitparade im WDR
Ab 1970 waren gelegentlich Schlagerparodien von Hermann Hoffmann in der „Unterhaltung am Wochenende“ zu hören. Georg Bungter begann zu dieser Zeit als freier Mitarbeiter beim WDR und hatte dabei Kontakt zum Redakteur Hilmar Bachor. Bungter schrieb Parodien auf ausgewählte Schlager, denn die schwülstigen Texte aus der damaligen Zeit luden geradezu dazu ein. Diese Parodien ließ er dann von Hermann Hoffmann musikalisch umsetzen, weil er begeistert war von dessen Fähigkeit, mehrere Charaktere in der „Kleinen Dachkammermusik“ in seiner Einmannshow aufleben zu lassen. So wurde aus Daniel Gerards „Harlekin“ das „Haar am Kinn“ und Ricky Shanes „Mammy Blue“ wurde zu „Mutti blau“ umgedichtet. Aber dies sind nur einige wenige Beispiele von Dutzenden scharfzüngiger und urkomischer Parodien.
Mit der Neustrukturierung der „Unterhaltung am Wochenende“ im Januar 1974 führte man eine neue Rubrik ein: die „Deutsche Shitparade“, angekündigt als „Eine schaurige Schau Deutschen Liedguts, abgezogen von Georg Bungter“. Alle zwei Wochen wurden Schlagertexte auseinandergenommen und ausgewählte Parodien präsentiert. Bei den ersten Parodien hat Georg Bungter den Text komplett neu geschrieben, für das Gehör aber möglichst nah am Original. Zum Beispiel „Der Teufel hat den Straps gemacht“ nach dem Original von Udo Jürgens’ „Der Teufel hat den Schnaps gemacht“. Einige Texte hatte Bungter im Original belassen und lediglich durch Kommentare angereichert, wie bei „Tränen lügen nicht“ von Michael Holm. Die Königsklasse war allerdings der Austausch einzelner Textzeilen, so dass sich im Extremfall Original und Parodie zeilenweise abwechselten. Diese technische Herausforderung meisterte Hermann Hoffmann mit seiner Präzision an Musikinstrumenten und Bandgeräten scheinbar mit Leichtigkeit. Aus Gunter Gabriels „Hey Boss, ich brauch mehr Geld“ formte Hoffmann das Ehe-Lustspiel „Marie, ich brauch mehr Schlaf“. Costa Cordalis’ „Die Blumen der Nacht” wurden zum Zahnarzt-Drama „Die Plombe, die kracht”, und aus Nino de Angelos „Jenseits von Eden” wurde „Jenseits von Schweden”.
In den ersten zwei Jahren gab es in der Shitparade die Rubrik „Shit-In“ mit dem Motto „Vertrauliches und Erbauliches, Verdauliches und Unverdauliches aus der Welt des Show-Business“. Hier ging es nicht um Parodien, es wurde vielmehr kräftig über Schlagertexte und Begebenheiten aus der Schlagerwelt gelästert. Das Highlight der Shitparade war die Auslobung des „Goldenen Lokus“ für die beste Parodie. Drei Mal im Jahr konnten die Hörer per Postkarte zwischen jeweils fünf bis sieben Titeln wählen. Zwei Wochen später stand der Gewinner fest. Insgesamt wurde dieser Preis 13 Mal vergeben:
Verleihung | Interpret | Original-Titel | Parodie-Titel |
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20.04.1974 | Gunter Gabriel | Er ist ein Kerl | Das Lied vom 50 ccm-Moped |
27.07.1974 | Benny | Du bist 16 | Du hast sechs Zeh’n |
30.11.1974 | Johanna von Koczian | Keinen Pfennig | Keinen Pfennig |
19.04.1975 | Gustav Knuth | Wer weiß die Antwort | Wer weiß die Antwort |
20.09.1975 | Howard Carpendale | Deine Spuren im Sand | Meine Uhr ist voll Sand |
10.01.1976 | Juliane Werding | Wenn du denkst, du denkst… | Wenn du denkst, du tränkst… |
17.04.1976 | Michael Holm | Wart' auf mich | Wart' auf mich |
16.10.1976 | Frank Farian | Rocky | Rocky, ich bin noch nie Bahn gefahren |
05.02.1977 | Peter Maffay | Und es war Sommer | Und es war Ernte |
30.04.1977 | Margot Werner | So ein Mann | So ein Weib |
12.11.1977 | Vicky Leandros | Auf dem Mond, da blühen keine Rosen | Auf Sylt, da trägt man keine Hosen |
04.03.1978 | Tony Holiday | Tanze Samba mit mir | Brate Eier mit mir |
24.06.1978 | Howard Carpendale | Ti amo | Die Oma |
Ab Herbst 1975 ist die „Shitparade“ komplett in Burgdorf vorproduziert worden. Als Sprecher agierte jetzt Hermanns Sohn Thomas, der damals noch nicht ganz 10 Jahre alt war und mit kindlicher Unbefangenheit über die Schlager herzog. Die Schlager wurden dabei gründlich auseinandergenommen: erst wurde das Original angespielt, dann sinnierten die beiden Hoffmanns über Sinn und Unsinn des Textes und schließlich kam die Parodie zum Zuge. Meistens spielte sich Hermann Hoffmann dezent mit eigener Orchestration an passenden Stellen in den Vordergrund ein. Manchmal wurde die Parodie aber auch komplett neu eingespielt. Viele dieser Parodien fanden später ihren Weg auf LP’s und Singles (siehe auch Diskographie).
Als größter Hit erwies sich schließlich für Hermann Hoffmann ein Text, den er auf den Hit von der Brighouse and Rastrick Brass Band dichtete. Deren skurriler Blaskapellen-Song „The Floral Dance“ schaffte es im November 1977 bis auf Platz 2 der britischen Charts. Hoffmanns Text erzählt vom Arbeitstag des kontaktfreudigen Hans Pausewang, der mal hier, mal da den Damen gerne an die Wäsche geht – bis Mutti zuhause abends den Spieß umdreht. Aus diesem Hit wurde aufgrund großer Nachfrage eine Single, dazu gesellte sich die LP gleichen Namens.
Wer gegen Jahresende immer noch nicht genug von den Parodien hatte, hörte sich auf WDR 2 die Sendung „Jux & Lyrik“ an. Diese bestand aus einer Auswahl von Parodien, vor denen jeweils zum Vergleich der Originaltext von einem Sprecher rezitiert wurde. Unvergessen hierbei ist Schauspieler, Hörspiel- und Synchronsprecher Friedrich Schütter mit seiner sonoren Stimme und der theatralischen Interpretation der meist banalen Texte.
Ab 1978 war Georg Bungter Redakteur beim WDR und hatte nicht mehr so viel Zeit für die Parodien. Die Shitparade lief nur noch einmal im Monat bis zur letzten Sendung Anfang 1979 (obwohl es seitdem immer noch genügend seichten Schlager-Nachschub gab).