Hermann Hoffmanns Original Dachkammer-Musik (1976)

Jahr: 1976
Label: Fontana special, LP 6434 173
Format: LP
Gesamtlaufzeit: ca. 41:38 min.

Tracklist wie auf der LP »Eine kleine Lach-Kammermusik« 1967:
Männerchor · Wer hat meinen Vogel gesehen? · Frau Dudel­stedt · Der Tüten­puste­beat­blues · Bachsche Invention · Leibweh · Frühschoppen
Laufzeit: 22:41

Ich kann den Jazz nicht leiden · Du hast mich glatt um den Verstand gebracht · Das darf doch wohl nicht wahr sein · Ich plagiatiere · Irene
Laufzeit: 18:57

Rückseitiger Cover-Text:

»Leicht beieinander wohnen die Gedanken, doch hart im Räume stoßen sich die Sachen.«
(Friedrich von Schiller, »Wallensteins Tod«, zweiter Aufzug, zweiter Auftritt)

Es mag überraschen, ja unangemessen erscheinen, wenn diese Schallplatte unter das Motto eines Schiller-Wortes gestellt wird. Aber ein Zitat von Goethe, das natürlich viel besser hierher gepaßt hätte, ließ sich in der Eile nicht finden.

Doch gemach! Des weisen Wallenstein wirkendes Wort trifft genau den Kern dessen, was Hermann Hoffmann vorhat: die enge Besiedlung des akustischen Raumes. Musik und Wort, Gesang und Geräusch drängen sich wie künstliche Sonnen, Weltraumkapseln und Milchstraßensysteme im All der Astronauten von morgen. Hermann Hoffmann ist ein so souveräner und so geschickter Magier, daß man den Schwierigkeitsgrad seiner Kunststücke mehr ahnen als wirklich beurteilen kann. Wie er ein personenreiches Einmanndrama auf die Stereo-Bühne bringt, die Stimmen von der extremen Linken durch das Zentrum zur extremen Rechten jagt, wie er Dialekte, Slang und Hofschauspielerdeutsch zu Klumpen ballt, wieder auflöst und dabei immer alles durchsichtig läßt – das verrät den altgedienten, zwischen Mikrophonen, Mischpulten, Hallanlagen und Verzerrern großgewordenen Hexenmeister. Diesen lobenswerten, so echt abendländischen Sinn für das Totale, Allumfassende entwickelt Hoffmann auch als Musiker. Der Beginn der Schallplatte bietet ein eindrucksvolles Beispiel für seinen Hang zur kühn gesehenen und kühn verwirklichten Zusammenfassung des scheinbar Gegensätzlichen. Da verbindet sich kindliche Unschuld (Schlafe, mein Prinzchen, schlaf ein) mit der Erfahrenheit des erotisch eingeweihten Mannes (Don Giovanni), italienisches Feuer (Rossini) und französischer Esprit (Avignon) mit deutscher Waldseligkeit (Freischütz), klassische Klarheit der Kontur (Nachtmusik) mit dem Sehnsuchtston der aufdämmernden Romantik (Ich liebe dich). Und all das singt er – im Playback – nicht nur einmal, sondern mehrmals und immer wieder, bis er seinen »Männerchor« zusammenhat.

All dies wird nun auf der heißen Flamme des Jazz gekocht und zusammengeschmolzen. Auch hier, als Koch und als Mixer, zeigt Hoffmann Format. Blues, Balladen und bouncenden Bachspielter à la Jackie Davis auf der Hammond-Orgel, daß es nur so eine Art hat. Er weiß, daß bei einer Schallplatte, wie der vorliegenden, auch musikalisch alles stimmen muß. Das Lied von der Entstehung der »Oben ohne«-Mode wird erst dadurch glaubwürdig, daß der Chronist nicht nur die Bluse, sondern auch die Blue-Notes auszuwringen weiß. Die Kapitel von »Hoffmanns Erzählungen«, als da sind: Anekdoten und politisch angehauchte Satire, Schnulzenparodie und Bebop-Vocal, virtuos übereinander kopierte Polyphonie der einen Stimme und unverfälschter Blödsinn werden zusammengehalten durch einen roten Faden, der den Hörer aber nicht an die Kandare nimmt.

Wer in all dem Scherz und in all der Satire eine tiefere Bedeutung sucht, tut es auf eigene Gefahr. Hoffmanns »Tropfen« wollen unterhalten.

Werner Burkhardt

Hoffmann über Hoffmann

Geboren: ja, als Ostfriese in Heilbronn am Neckar. Musikalisch kabarettistische Begabung von den Großeltern. Opa war Pastor, Oma sang in der Kirche grausig die 2. Stimme. Ich versuchte die dritte.

Klavierstunde mit 6 Jahren in Stuttgart, daher die echt schwäbischen Töne, 1937 Umzug nach Leer. Obwohl Ostfriese, Besuch des Gymnasiums. In Musik stets eine »5«! Wegen der Liebe zum Jazz, der in diesen Jahren verpönt war.

Von 1942 bis 1945 als Flakhelfer herumgefunkt und mitgeholfen, den Krieg zu beenden.

Nach dem Krieg als Trümmerfrau gearbeitet. Da meine Schule angeschossen war, Volontär bei einem Schlosser, wo ich Eisengitter und Zäune baute – für die Schule. Anschließend bei einem Elektriker, um Lichtleitungen zu legen – in der Schule. Dann wieder Schule in der Schule bis 1948. Entschluß gefaßt, Musik zu studieren. Jazz!

Mutter war dagegen, denn sie konnte den Jazz nicht leiden. Da Vakanz eines Korrepetitors am Oldenburger Staatstheater, dort Ballett-Tänzerinnen begleitet (hauptsächlich auf dem Klavier) sowie Operetten einstudiert. Mädchen für alles gewesen. Zuletzt sogar eine Operette dirigiert, meine erste und letzte! Generalmusikdirektor Boelke, mein Chef konnte auch den Jazz nicht leiden,– ich ging freiwillig und gründete das Jazz-Trio »Die 3 Hoffmannstropfen«, ohne die Warnung meines Chefs, »statt Jazzmusik und Negerreigen, lern’ dich vor Bach und Reger neigen«, zu befolgen. Gastspiele in Bars, erste Arbeiten für den Hörfunk. Gründete in Celle den »Schwarzsender Zitrone« (in einer Dachkammer). Nach Stillegung des »Piratensenders« Aufbau eines Tonstudios und Produktion der ersten »Dachkammer-Musik« für den Rundfunk.

1963 Eröffnung des »Tontrick-Studios« in Hannover. Musikproduktionen für Werbung, Dia-Schauen, Unterhaltungssendungen für den Rundfunk, Filmmusik, Schallplatten-Aufnahmen und ... bis heute 125 Folgen der »Kleinen Dachkammer-Musik« für den WDR produziert.

1968 nach Burgdorf ausgewandert – um Streß und Herzinfarkt zu entfliehen.

Pläne: Ausbau des Studios für Bildaufzeichnung. Wünsche: Geldpresse, mit der man 150-DM-Scheine drucken kann. Besondere Kennzeichen: Halte mich bei Gewitter stets draußen auf, da ich, wie alle Ostfriesen, bei jedem Blitz annehme, fotografiert zu werden. Hobby: Nachts im Bett komponieren.

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